Persön­lichkeits­bildendes Schreiben

Worte

Worte sind reife Granatäpfel
sie fallen zur Erde
und öffnen sich.
Es wird alles Innre nach Außen
gekehrt,
die Frucht stellt ihr Geheimnis bloß
und zeigt ihren Samen,
ein neues Geheimnis.

Hilde Domin

 

Was ist das?

In Abgrenzung zum therapeutischen Schreiben wird beim persönlichkeitsbildendem Schreiben nicht konfliktorientiert gearbeitet. Das heißt, ich komme in so ein Schreibangebot nicht mit einer konkreten Problematik (z.B. einer Phobie oder einer Eßstörung) sondern um mich und meinen Weg besser kennenzulernen und mich für diesen Weg besser zu rüsten. Die persönlichen Ressourcen stehen im Vordergrund und die Neugierde auf persönliche Veränderungen.
Im Schreiben kann ich mich und meine Gedanken und Gefühle besser verstehen. Das Strukturieren und Form geben (z.B. beim Verdichten) geben mir Halt.
Die Dinge werden deutlicher (stehen „schwarz auf weiß“ auf dem Papier), ich kann sie bewusster wahrnehmen und so einen besseren Zugang bekommen. Und ich kann sie aus einer gewissen Distanz heraus betrachten, aus einer anderen Perspektive (ich schreibe es auf, dann schaue ich es an).
Im Lesen und Anhören der Texte anderer kann ich die Erfahrung machen, dass es anderen ganz genauso geht wie mir. Manche Texte haben eine solche Passung, als hätte da jemand meine ganz eigenen Gefühle und Gedanken aufgeschrieben, als sei dieser Text nur für mich geschrieben worden. Hier erfahre ich tiefe Solidarität: Ich bin nicht allein mit meinen Sorgen, Ängsten und Problemen und mit meiner Sicht auf die Welt.
Manche dieser Texte begleiten uns ein Leben lang, manche passen genau in eine bestimmte Lebensphase und geben uns genau zur richtigen Zeit die richtigen Anstöße und Orientierung.

»Wir finden in den Büchern
immer nur uns selbst.«

— Thomas Mann

Wie geht das?

Bei einem charakteristischen Schreibimpuls liest die Schreibgruppenleiterin ein Gedicht vor. Aus der Resonanz auf das Gehörte und dabei Gespürte schreiben die Teilnehmerinnen zunächst einen freien Text. Dieser wird dann verdichtet, zum Beispiel zu einem 3-Zeiler. In der Gruppe werden dann die Texte vorgelesen.
Indem ich mich mit meinem Text in der Gruppe zeige, verändert sich auch meine eigene Resonanz auf meinen Text. Und da die eigene Resonanz auf ein Gedicht zu jedem Zeitpunkt des Lebens eine andere, eine neue ist, ist es auch nicht schlimm, zwei Mal zu dem gleichen Gedicht zu schreiben – das kann im Gegenteil sehr spannend sein.
Jeder Text hat sogenannte Leerstellen. Ich als Leser oder Hörer des Textes fülle diese mit meinen Erfahrungen, mit meiner Sicht auf die Welt auf. Dieses Auffüllen geschieht immer wieder neu, ich höre den Text immer wieder neu und so führt das Schreiben zum selben Gedicht bei jedem neuen Mal zu einem anderen Text.
Ebenso wie das Gedicht in einer Gruppe von 12 Schreibenden zu 12 ganz unterschiedlichen Texten führen kann. Bei Jedem klingt etwas Anderes an und auch das Hören der vielfältigen anderen Texte führt immer wieder zu eigenen Resonanzen.
In den stets unterschiedlichen Texten begegnen wir der Vielfalt der Welt, der Menschen und auch der Vielfalt in uns.

»Ich glaube, daß wir einen Funken jenes ewigen Lichts in uns tragen, das im Grunde des Seins leuchten muß und welches unsere schwachen Sinne nur von Ferne ahnen können. Diesen Funken in uns zur Flamme werden zu lassen und das Göttliche in uns zu verwirklichen, ist unsere höchste Pflicht.«
— Johann Wolfgang von Goethe

Ist das was für mich?

Hier ist jeder genau richtig, der neugierig ist auf sich selbst und neugierig auf die Wege anderer.
Die Texte oder ihre Schreiber werden hier nicht analysiert!

Kursangebot

Weiterlesen

  • Petzold, H.G. & Orth, I. (Hgg.) (2009). Poesie und Therapie. Über die Heilkraft der Sprache. Poesietherapie, Bibliotherapie, Literarische Werkstätten. Bielefeld und Locarno: Edition Sirius im Aisthesis Verlag.

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